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1. Beitrag zur Versöhnung und zum Ausgleich
Beitrag zur Versöhnung und zum Ausgleich
Die EVP Basel-Stadt wurde am 23.2.1920 als Sektion der im Vorjahr entstandenen EVP Schweiz gegründet, also in einer notvollen Zeit der Krisen, Klassenkämpfe, Streiks und Truppeneinsätze gegen demonstrierende Arbeiter. Die EVP wollte ihren Beitrag zur Versöhnung und zum Ausgleich leisten. Bereits im April gewann die Partei zwei Grossratsmandate, nachdem sie ein Angebot der Liberalen für eine gemeinsame Liste abgelehnt hatte. Der intellektuelle Kopf der Partei war Hermann Bächtold, der aus einfachsten Verhältnissen über den Lehrerberuf zum nachmaligen Lehrstuhlinhaber für Geschichte aufgestiegene Universitätsrektor (1929/30). Er wollte "christliche Kräfte politisch mobilisieren". Heraus aus der christlichen Passivität in staatlichen Fragen! Das ist ohne Organisation nicht möglich. Damit bekannte er sich zur Idee einer "evangelischen " Partei.
2. Das Ringen um soziale Fragen
Das Ringen um soziale Fragen
Die Landespartei gewann ihn als Redaktor der neu gegründeten "Evangelischen Volkszeitung". In ihr trat er ein für vermehrte soziale Gerechtigkeit, eine neue Sozialpolitik, für die Verwirklichung der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenversicherung, die allerdings erst nach dem 2. Weltkrieg geschaffen wurde. "Das Volkseinkommen muss anders verteilt werden!" meinte er.
Mit dieser Unterstützung "sozialistischer" Postulate erzeugte er innerhalb der Partei grosse Spannungen. Auch in Basel kam es zu einer Zerreissprobe: die beiden "bürgerlich" eingestellten Grossräte legten ihre Ämter nieder. An einer öffentlichen Versammlung, an der Bächtold ein Referat über seine AHV-Vorschläge hielt, trat ihm der (einzige) EVP-Nationalrat, der Zürcher Dr. Hoppeler, unerwartet in einem Co-Referat entgegen.
Bächtolds Kampfgefährte der ersten Stunde war Johannes Hasler. Nachdem Bächtold sich aus gesundheitlichen Gründen mehr und mehr hatte zurückziehen müssen - er starb als erst 52jähriger - wurde Hasler der führende Mann.
3. Eine Vereinigung mündiger Bürger
Eine Vereinigung mündiger Bürger
Bei den Wahlen von 1926 gewann die EVP 3, 1929 sogar 4 Mandate. Aber bereits 1938 gelang gerade noch die Wiederwahl Haslers. Die Partei serbelte. Rettungsversuche hatten wenig Erfolg. Da tauchte 1948 eine neue Idee auf: die VEW. Der Übergang von der EVP zur VEW war keineswegs ein blosser Namenswechsel, denn auch für eine umbenannte EVP wären keine Mitglieder und Kandidaten mehr zu finden gewesen.
Die Bezeichnung "Partei" kam schon gar nicht in Frage. Das Wort "Partei" war belastet durch die Namen der NSDAP und der KPdSU und ihrer Führer, Hitler und Stalin und die von diesen verübten Greuel. Auch andere politische Gruppierungen jener Zeit vermieden das Wort "Partei", z.B. der Landesring. Man wollte einen neuen politischen Stil finden, weg von Parteiengezänk, Päcklipolitik, Fraktionszwang und vom überholten Links-Rechts-Schema. So mieden die VEW-Gründer ebenfalls das Wort "Partei". Sie wollten auch kein Parteiprogramm, sondern eben : eine Vereinigung mündiger Bürger, die die Etikette "evangelisch" nicht scheuten und damit einige Gewähr boten, sich von ihrem Gewissen leiten zu lassen. Die Idee zündete bei den zur Versammlung am 17.12.1948 Erschienenen, und die Gründung kam zustande.
Und siehe da : Bei den nächsten Grossratswahlen gewann die VEW 4 Mandate und erreichte schon 1953 dank der Beteiligung der VEW Riehen Fraktionsstärke. Daraufhin entschieden die verbliebenen EVP-Mitglieder am 2.6.1953 leichten Herzens die Auflösung der alten EVP Basel-Stadt. Sie hatte ihren Dienst getan und ihr grundsätzliches Anliegen wurde weiter vertreten.
4. Bürgerliche Alternative oder Partei der Mitte?
Bürgerliche Alternative oder Partei der Mitte?
Die EVP Schweiz war gar nicht zufrieden. Am liebsten hätte sie das Stiefkind VEW gleich adoptiert. Doch dieses wollte nichts davon wissen. Vielleicht steckte die Animosität der Basler gegenüber dem dominanten und expansiven Zürich dahinter. Auch finanzielle Gründe waren im Spiel, vor allem aber politische Gegensätze : Die EVP war damals sehr bürgerlich und gouvernemental. Dies manifestiert sich z.B. in einer besonderen schicksalsschweren Frage : In den späten 50er Jahren studierte das EMD Wünschbarkeit und Möglichkeiten einer atomaren Aufrüstung unserer Armee. Eine Volksinitiative strebte einen grundsätzlichen Verzicht an. Die VEW war mehrheitlich für, die EVP zusammen mit dem Bundesrat und dem Bürgerblock gegen die Initiative.
Die EVP sah sich nicht mehr "zwischen den Blöcken", sondern als "bürgerliches Korrektiv". Immerhin bestand ein informeller Kontakt zwischen EVP und VEW, die einen Gast ohne Stimmrecht an die ZV-Sitzungen senden konnte.
Im Jahre 1975 wurde dann aber ein Anschlussvertrag ausgearbeitet. Kantonale Sektion der EVP wurde die VEW aber erst, als auch die VEW Riehen und Bettingen mitmachten. Auch in der Zusammenarbeit zwischen der VEW Riehen und Basel (und auch in dieser selbst) wurde der Links-Rechts-Gegensatz gelegentlich sichtbar - etwa bei gegensätzlichen Abstimmungsparolen.
5. Die VEW Riehen - die starke Kraft im Dorf
Die VEW Riehen - die starke Kraft im Dorf
1923 wurde die Vorläuferin der Riehener VEW, die Riehener Sektion der Evangelischen Volkspartei (EVP) gegründet. Es war die Zeit, als sich auch in protestantischen Kreisen die Überzeugung durchsetzte, über das Beten für Volk und Behörden hinaus brauche es das praktische politische Handeln.
Noch empfand man sich aber als Teil der Bürgerlichen Vereinigung, doch als sich die Burgfriedenstimmung der dreissiger Jahre zu Ungunsten der Riehener EVP auswirkte, reifte der Gedanke, aus dem Bürgerblock auszusteigen und etwas eigenes zu versuchen. Die Vertretung im dreissigköpfigen Gemeindeparlament, die zuvor aus 3 oder 4 Sitzen bestanden hatte, sank 1939 auf 2 Sitze und 1942 auf 1 Sitz ab, und im darauffolgenden Jahr verlor man auch noch diesen einen Sitz. Im Durchschnitt hatte der Wähleranteil etwa 7,5 % betragen.
6. Ein Neuanfang
Ein Neuanfang
In der Aufbruchs- und Erneuerungsstimmung, am Ende des zweiten Weltkrieges war die Riehener Sektion der EVP zu einem kleinen Häuflein von meist älteren Herren geworden. Auch hatte sie das wohl bestimmendste ihrer Mitglieder, nämlich Karl Roth-Freiermuth, der von 1932 bis 1935 dem Grossen Rat angehört hatte, eben durch den Tod verloren. Auf Initiative des Druckers und Verlegers Albert Schudel fand dann in dessen Wohnung an der Mühlestiegstrasse am 14. Februar 1945 die letzte Sitzung der alten EVP-Sektion und zugleich die erste der Nachfolgevereinigung statt. 22 Mitglieder waren geladen und 5 sind gekommen : neben Schudel die Schreinermeister Reinhard Bammerlin und Hermann Tschudin sowie die Kaufleute Hermann Schäublin und Charles Schüpbach. Man wurde sich einig, dass man zur Bürgerlichen Vereinigung wie überhaupt zum Parteiwesen mit seinen taktischen Spielchen auf Distanz gehen wollte und fühlte sich gleichzeitig verpflichtet, allem zu widerstehen, was militant rot oder katholisch war. So entstand mit dem Rückhalt aus Kreisen des Vereinshauses und des CVJM die Evangelische Wählervereinigung (EWV). Schudel übernahm das Präsidium und wurde mit einem Wähleranteil von 3,8 % als einziges Mitglied der EWV in den Weiteren Gemeinderat gewählt.
7. Frauenpower hat Tradition
Frauenpower hat Tradition
Zweimal wurde später der Vereinigungsname geändert : Aus sprachlichen Gründen nannte man sich von 1949 an Vereinigung Evangelischer Wähler (VEW), und nachdem endlich das Frauenstimmrecht eingeführt war, wurde diese zur Vereinigung Evangelischer Wähler und Wählerinnen (1975), was umso berechtigter ist, als die Frauenquote unter den Mitgliedern schon lange über 40 % liegt. Diese Akzentsetzung fand auch darin ihren Ausdruck, dass die VEW in Elisabeth Arnold die erste Riehener Parlamentspräsidentin stellte (1980 - 1982).
8. Eine unabhängige Kraft
Eine unabhängige Kraft
Dass die EWV/VEW rasch erstarkte, war mitbedingt durch die Tatsache, dass weite Kreise gegenüber dem durch einen selbstinszenierten Handstreich zum Amt gekommenen liberalen Gemeindepräsidenten Missbehagen empfanden. So wurden 1948 und 1951, als man in völliger Unabhängigkeit zum Bürgerblock erstmals mit einer eigenen Liste antrat, gar 7 Parlamentsmandate (von nunmehr 40), gewonnen. Damit trat auch, zuerst als Mitglied des Weiteren und dann des Engeren Gemeinderates, Otto Schäublin-Wirth auf den Plan und übte mit seinem Charisma für Jahrzehnte einen prägenden Einfluss aus.
Es war der VEW beschieden, rasch zur stärksten politischen Kraft in der Gemeinde zu werden. 1974 erlangte sie mit einem Wähleranteil von 26,3 % 11 Sitze im Weiteren Gemeinderat und noch heute steht sie mit 20,7 % an der Spitze. Im Engeren Gemeinderat ist sie seit 1966 mit 2 Sitzen vertreten. Ab 1970 stellt sie ohne Unterbruch den Gemeindepräsidenten. Bürgerräte hat sie seit 1951 sechs gestellt, das Präsidium des Parlaments versahen 4 ihrer Mitglieder (plus 1 Mitglied der EVP), und die Grossratsdeputation erreichte 1984 mit 3 Sitzen das Maximum (heute 2). Stärke bezeugt auch, dass man anfangs der siebziger Jahre eine Gruppe von Fremdengegnern zum Austritt hat zwingen und 1994 eine Junge VEW (mit 1 Sitz neben 7 Sitzen der Stammvereinigung) im Einwohnerrat hat gründen können. 1989 ist die VEW Riehen auch Vollmitglied der schweizerischen EVP geworden.
9. Früchte
Früchte
Schliesslich im Sinne von Matthäus 7.16 : Buslinie 35, die Süd mit Ost und Nord verbindet - Ablösung des Landpfrundhauses vom Mitbesitz durch die Basler Bürgergemeinde, was erst den Bau des Neuen Riehener Alters- und Pflegeheims ermöglicht hat - Wärmeverbund und Erschliessung der Geothermie zur Senkung der Emissionen - fünf Wohngenossenschaften, Kunstkommission und Kulturpreis, Raumplanungsmassnahmen zur Sicherung einer sich an menschlichen Bedürfnissen messenden Bauentwicklung, eines die Gemeinde umschliessenden Grüngürtels, so die Freihaltung des Bäumlihofareals, des Hinter Engeli, des Gebiets "im Moos".
Der VEW gelang im Einwohnerrat das Kunststück, "Regierungspartei" zu sein und gleichzeitig eine eigenständige und innovative Parlamentsarbeit zu entwickeln . Die Liste der im Zusammenspiel zwischen Einwohnerratsfraktion und VEW-Exekutivmitglieder entwickelten Projekte ist lang. Bauliche Expansion um ihrer selbst willen war dabei kein Programmpunkt, sondern vielmehr die Verbesserung der Lebensqualität und die langfristige Sicherung der Ressourcen.
Für Gerhard Kaufmann, Gemeindepräsident von 1970 bis 1998 war zahlenmässige Grösse kein Ziel. Unter seiner Führung hat denn auch Riehen eine andere, glücklichere Entwicklung genommen, als alle übrigen Agglomerationsgemeinden.
Michael Raith, Gemeindepräsident von 1998 bis 2005 und Willi Fischer, Gemeindepräsident ab 2005 haben diese Zielsetzung unter der Formel "Riehen - das grosse, grüne Dorf" übernommen und weiter umgesetzt.
10. Die VEW fasst Fuss in Bettingen
Die VEW fasst Fuss in Bettingen
Bis Mitte des letzten Jahrhunderts war Bettingen ein Arbeiter- und Kleinbauerndorf. Mit dem einsetzenden Zuzug aus der Stadt änderte sich auch die politische Ausrichtung der Gemeindebehörden. Die "Bürgerliche Vereinigung" wurde zur dominierenden Kraft. Sie hatte eine Monopolstellung und besetzte alle zu vergebenden Ämter. Es kam deshalb einer Sensation gleich, als die im Frühjahr 1977 im Turmzimmer der Chrischonakirche gegründete VEW Bettingen auf den Plan trat. Fortan mussten sich die Bettingerinnen und Bettinger nicht mehr mit einem politischen Einheitsbrei begnügen, Meinungsvielfalt wurde salonfähig. Dabei ging es der VEW Bettingen nicht um die Konfrontation, sondern um gelebte Demokratie unter Beteiligung auch der nicht "zum Kuchen" gehörenden Einwohnerinnen und Einwohner. In der Folge gelang es der VEW Bettingen über Jahre hinweg mit Peter Nyikos das Gemeindepräsidium zu stellen und ebenfalls mit Peter Nyikos, später dann mit Hanspeter Kiefer den Bettinger Grossratssitz zu besetzen. Der VEW ging es vor allem darum, von der Gemeindeautonomie nicht nur zu reden, sondern auch etwas dafür zu tun.
Durch Wegzüge stark deziminiert, beschloss die VEW Bettingen 2004 sich in administrativen Belangen mit der VEW Riehen zusammenzuschliessen. In gemeindepolitischer Hinsicht hat die VEW Bettingen völlige Handlungsfreiheit. Es ist weiterhin mit ihr zu rechnen.
11. Zurück zu den Wurzeln
Zurück zu den Wurzeln
An der ausserordentlichen Mitgliederversammlung vom 29. November 2006 wurde beschlossen, künftig sowohl kantonal als auch kommunal unter der Bezeichnung EVP, Evangelische Volkspartei Basel-Stadt aufzutreten. Der nach sorgfältiger Abwägung beschlossene Namenswechsel erfolgte unter dem Eindruck der zunehmenden Bedeutung nationaler Themen.
Die "Evangelischen" auf dem Gebiet des Kantons Basel-Stadt wollen endlich wahr- und ernstgenommen werden als Teil einer gesamtschweizerischen Partei, die auch bei nationalen Themen ihre Meinung einbringt und dieser auch mitunter zum Durchbruch verhilft.
Im Gegensatz zum Namenswechsel von 1948 war mit diesem "Zurück zu den Wurzeln" kein politischer Kurswechsel verbunden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sich in den vergangenen 30 Jahren auch die schweizerische EVP gewandelt hat und nicht mehr im Windschatten der grossen bürgerlichen Parteien rudert.
Februar 2007 / Gerhard Kaufmann, Riehen